Gar nicht so selten werde ich gefragt, warum ich genau diese Arbeit mache. Ob das nicht ganz schrecklich ist, den ganzen Tag nur Schwerstkranke und Sterbende zu begleiten. Für viele Menschen ein unvorstellbar schrecklicher Alltag. Aber das ist es überhaupt nicht. Hier sind wir wieder mitten in den Klischees: Auf der Palliativstation wird nur geweint, gebetet, der Pfarrer ist ständig vor Ort und es spielen sich den ganzen Tag rührende und dramatische Szenen ab. Hollywood lässt grüßen.

Ich habe mit meiner Berufswahl echt viel Glück gehabt. Ich würde jederzeit wieder diese Richtung einschlagen und ich liebe meine Arbeit. Nicht unbedingt jeden Tag und nicht zwingend morgens um 5:30 Uhr wenn ich aufstehen muss… :-).

Wenn man als Ärztin oder Arzt arbeitet, hat man in der Regel schon längst die Entscheidung getroffen, dass man sich dem Leid der Menschen stellen möchte. Außer man ist vielleicht Labormediziner oder übt andere Tätigkeiten ohne Patientenkontakt aus. In den meisten Fachrichtungen wird man mit dem Leid eines Erkrankten und seiner Angehörigen konfrontiert. In der Unfallchirurgie muss man Patienten mitteilen, dass Sie behindert bleiben oder Angehörige über den Verkehrstod ihres Familienangehörigen informieren. In der Allgemeinchirurgie sind schlechte Nachrichten an der Tagesordnung und genauso in der Inneren Medizin und so weiter und so weiter. Also eine Stück Normalität im ärztlichen Berufsbild.

Der Unterschied liegt lediglich im Anteil dessen, was diese Situationen in unserer täglichen Arbeit ausmachen. In der Palliativmedizin ist es eben unser Alltag, in der Plastischen Chirurgie eher die große Ausnahme. Die Hoffnung auf Heilung ist in der Regel nicht mehr gegeben und man muss jetzt den Patienten und seine Angehörige an die Hand nehmen und sie durch diese letzte schwere Zeit durchlotsen, damit es auch hier noch gut werden kann. Hier ist genauso viel Expertise nötig, wie bei einer Lebertransplantation oder in der Behandlung eines Patienten mit Schizophrenie.

Die letzte Lebensphase empfinde ich als persönliche Herausforderung und die palliative Begleitung eines Menschen kann genauso zufriedenstellend sein, wie einen Patienten durch eine Notoperation zu retten. Ich hätte diese Arbeit nicht als junge Assistenzärztin machen wollen. Aber nach vielen Jahren Arbeit mit onkologischen Patienten empfinde ich die letzte Krankheitsphase als einen der wichtigsten Abschnitte einer Erkrankung überhaupt und sehe auch wie hoch der Bedarf an guter Begleitung hierbei ist.

Mein Alltag ist geprägt von Lachen und Leben. Aber eben auch von Leid, Traurigkeit und Schmerz. Ich kann alle diese Aspekte des Lebens gut in meinen Arbeitsalltag integrieren. Natürlich gibt es Fälle die einem näher gehen oder Tage an denen man nicht so schwingungsfähig ist, aber unterm Strich möchte ich im Moment keine andere Arbeit machen. Ich bin jeden Tag aufs Neue dankbar, dass ich nicht meinen Beruf sondern meine Berufung gefunden habe!

Einen klaren Vorteil hat man übrigens als Palliativmediziner! Wenn man privat unterwegs ist und es zur Sprache kommt, dass man Arzt ist, ist man in der Regel gleich verhaftet. Die Mutter meiner Nachbarin hat eine Tante in der Mongolei und die hat einen Pickel am Fuß. Was könnte denn das sein und was macht man denn da am besten? Wenn Sie gefragt werden, welche Fachrichtung sie machen und sie antworten, zum Beispiel mit Internist oder Hausarzt, haben sie verloren! Lautet die Antwort aber Palliativmedizin dann gibt es meistens  zwei verschieden Reaktionen: Totenstille oder die Aussage: „Ach nee. Da sind wir noch nicht. Das ist ja kein schöner Beruf den sie da ausüben.“ In der Regel ist das das Ende des Gespräches. Ein immenser Gewinn an Lebensqualität und Lebenszeit für mich persönlich!! 🙂

Master of Desaster

 

Wähle einen Beruf, den du liebst, und du musst keine einzigen Tag in deinem Leben arbeiten.

Konfuzius