Nachdem jetzt thematisch die Berufsgruppen abgeschlossen sind, möchte ich mich in den nächsten Beiträgen mit den Familienangehörigen oder dem sozialen Umfeld beschäftigen. Wie bereits erwähnt,spielen Angehörige in unserem täglichen Arbeitsablauf eine große Rolle. Dies ist auch eines der Hauptunterscheidungsmerkmale zu Stationen der Akutversorgung. Dort sind Angehörige eher ein Störfaktor und die Gelegenheit zu einem Arztgespräch ist etwa so wahrscheinlich, wie ein Sechser im Lotto. Jetzt braucht nicht jede Behandlung lange Erklärungen für die Angehörigen, z.B. Blinddarmentzündung: Blinddarm raus, alles gut und Tschüss! Das ist natürlich bei Patienten mit Tumorerkrankungen, hoher Symptomlast und vielen schwierigen Entscheidungen etwas völlig anderes.

Deshalb lautet unsere Formel für unsere täglichen Abläufe auch 1 plus 3. Also auf jeden Patienten kommen etwa drei Angehörige. Kann man sich natürlich die Frage stellen, warum man sich das Leben so schwer machen will? Ganz einfach – weil es nur so gut werden kann! Man kann einen Menschen nicht einfach aus seinem sozialen Umfeld herausrechnen und sich nur auf seine Rolle als Patient fokussieren. Angehörige oder Zugehörige (Freunde, Arbeitskollegen) sind bekanntermaßen ebenso belastet wie der Patient durch die Gesamtsituation. Angehörige fallen aber oft durch alle Maschen, weil sich hauptsächlich auf den Patienten konzentriert wird. Natürlich ist es oft auch ein Ressourcenproblem. Wenn man schon kein Personal hat um den Patienten adäquat zu versorgen, wo soll dann um Gottes Willen Raum für Angehörige sein? Das funktioniert definitiv überhaupt nicht mehr am Lebensende! Denn die Probleme und Fragestellungen sind existenziell. Wie soll man eine gute Weiterversorgung für den Patienten hinbekommen, wenn man nicht die leiseste Ahnung hat, wie er lebt und was machbar oder gewünscht ist? Wie soll ich einen Patienten emotional stützen und begleiten, wenn parallel dazu der Ehepartner total am Rad dreht oder auf dem letzten Loch pfeift?

Hier bei uns bedeutet es, dass wir aktiv auf die Angehörigen zugehen und Gesprächsangebote machen. Manche halten die viele Zeit, die ihnen angeboten wird, gar nicht aus: “ Frau Doktor, jetzt habe ich Sie aber lange genug von ihrer Arbeit abgehalten.“  Mein dummer Spruch ist dann immer: „Nein, sie SIND unsere Arbeit!!“

Noch ein Wort zu den Zugehörigen. Auch Freunde und Familienangehörige spielen eine wichtige Rolle. Manchmal klappt die Versorgung durch Freunde besser, als durch die engsten Verwandten. Außerdem gibt es natürlich auch Menschen, die alleine leben und nicht mit einer türkischen Großfamilie aufwarten können. Da kann eine einzige Person, die den Kontakt aufrecht hält, schon eine große Hilfe sein. Übrigens können auch Haustiere die Funktion eines Angehörigen erfüllen!

In den beiden nächsten Beiträgen werden zwei Angehörige zu Wort kommen, die über ihre Erfahrungen mit der Betreuung auf einer Palliativstation berichten werden. Eine negative Erfahrung (Gott sei Dank nicht bei uns) und eine positive Erfahrung (Gott sei Dank bei uns 🙂 ).

Master of Desaster

 

Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen.

Albert Schweitzer