Mein Name ist Dr. med. Gabriele Otto. Ich bin als Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Fachärztin für Psychiatrie in Frankfurt niedergelassen. Dazu habe ich eine Ausbildung zur Gruppenleiterin der Deutschen Balintgesellschaft absolviert und bin seit vielen Jahren in verschiedenen Kliniken und Instituten als Supervisorin tätig.

Auf die Palliativstation am UCT komme ich 1 – 2 mal im Monat, um ein ausführliches gemeinsames Gespräch des Stationsteams anzuleiten und zu moderieren.

Alle Patienten, die auf der Station behandelt werden, befinden sich in einer körperlich-geistigen Ausnahmesituation. Die Behandlung, Pflege, Betreuung und Begleitung von Schwerstkranken und Sterbenden erfordert von den „Profis“ ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen einerseits und der Fähigkeit, Grenzen zu ertragen, andererseits. Es ist oft nicht leicht, die Einzigartigkeit jedes einzelnen Patienten zu respektieren, selbst da, wo es unterschiedliche Herangehensweisen und Auffassungen gibt. Es erfordert Mut, auch in erschütternden und aufwühlenden Situationen einen aufrichtigen Dialog führen zu wollen. Und es braucht Fingerspitzengefühl und Takt, den jeweils angemessenen Ton im Umgang mit dem Patienten zu finden.

Auf der Palliativstation wird der Versuch unternommen, das bio-psycho-soziale Modell von Krankheit zur Grundlage der Arbeit zu machen. So fließen Faktoren aus sehr verschiedenen Bereichen in das aktuelle Krankheitserleben und die Krankheitsverarbeitung der Patienten mit ein. Ausschlaggebend sind dabei neben der aktuellen körperlichen Verfassung und der medizinischen Vorgeschichte ebenso lebensgeschichtliche Hintergründe und emotionale Umstände. Dafür ein Verständnis zu entwickeln und – wo möglich – in den Dialog zu kommen, ist das Ziel jeder Behandlung auf der Palliativstation. Bei schwersten Erkrankungen und im Sterben ist es dabei besonders wichtig, das soziale Umfeld zu berücksichtigen. Familienangehörige, Freunde, wichtige Ansprechpartner können in extremen Belastungssituationen eine hilfreiche Umgebung und Kraftquelle darstellen, dessen Potential von den Patienten genutzt werden soll. Hier versteht sich das Team als Partner und Verstärker der helfenden Angehörigen  Andererseits hat bei Schwerstkranken oft der Wunsch nach Klärung von strittigen Situationen und  Regelung der eigenen Dinge über den Tod hinaus einen hohen Stellenwert im inneren Erleben. Auch dabei will das Team behilflich sein, soweit dies notwendig und möglich erscheint.

Die Supervisionsgruppe bietet die Möglichkeit, miteinander über das oft sehr komplexe Geflecht von Informationen, Handlungsnotwendigkeiten, Verordnungen, aber auch Eindrücken, Gefühlsreaktionen, Überlegungen, Perspektiven in einen intensiven Austausch zu kommen. Ausgehend von konkreten Situationen in der täglichen Arbeit tragen alle Beteiligten ihre Wahrnehmungen zusammen, um so ein vertieftes Verständnis für die angesprochene Behandlungssituation zu erarbeiten. Dabei gilt es, nicht nur die helfende Beziehung zum Patienten zu berücksichtigen, sondern auch das Zusammenspiel der einzelnen Mitglieder im Team zu reflektieren. Zusammenwirken und Arbeitsteilung im Team erfordern oft genaue Abstimmungsprozesse. Und schließlich ist es immer wieder unumgänglich, das äußere Bedingungsgefüge der eigenen Arbeit zu bedenken. Die Palliativstation als Teil der Uniklinik und allgemeiner noch des Gesundheitssystems findet Spielräume und Begrenzungen.

Natürlich soll die Arbeit in der Supervisionsgruppe direkt den zu betreuenden Patienten zugute kommen. Daneben ist es aber auch wichtig, die Arbeitszufriedenheit der Teammitglieder zu stärken. Die Teilnahme an einer regelmäßigen Supervisionsgruppe kann dabei helfen, die eigenen kommunikativen Fähigkeiten – auf sprachlicher und nichtsprachlicher Ebene – zu entfalten. Zudem wird für die Teilnehmer zunehmend erfahrbar, wie eigene innere Haltungen auf die Behandlungssituation und den Austausch mit den Patienten  einwirken. Schließlich gilt es, einen geschützten Rahmen für teilweise heftige Gefühle und Emotionen zu bieten, die in der Arbeit mit Schwerstkranken notwendigerweise immer wieder auftauchen. Nur wenn es gelingt, eine gute Balance zwischen lebendiger Anteilnahme und gesunder Abgrenzung zu finden, kann diese Arbeit vom Team auf Dauer ohne Schäden für die eigene Gesundheit geleistet werden.

Ein persönliches Wort zum Schluss: Ich gehe als Supervisorin oft sehr berührt und nachdenklich aus den Sitzungen mit dem Team der Palliativstation. Hier begegnen uns wirklich wichtige Fragen des Lebens. Ich bin voll Hochachtung und Respekt diesen Kollegen gegenüber, die ihre Arbeitskraft in der Palliativmedizin einsetzen. Ich lerne mit ihnen viel über Kranksein, über Sterben und damit über das Leben.