Der Traum vom Fliegen

 Diese Geschichte hat keinen Helden – und sie hat auch kein Happy-end. Sie beginnt mit einem Anruf am 23. Dezember, einen Tag vor Heiligabend. In der Konzernkommunikation meldet sich eine Ärztin aus einer Palliativ-Station. Hier werden Patienten betreut, für die es keine Therapie mehr gibt und keine Hoffnung auf Genesung. Sie werden umsorgt von verständnisvollen und aufopferungsvollen Medizinern und Pflegekräften. Und manchmal wird ein Wunsch geäußert – so auch von einem jungen Mann, der neurologisch unheilbar erkrankt, aber noch gut ansprechbar ist. Sein großer Traum war es immer, Pilot zu werden.

Getreu dem Motto „Jeder Tag ist ein kleines Leben“ greift die Ärztin zum Telefon und meldet sich bei Lufthansa: „Vielleicht können Sie unserem Patienten eine Freude machen und ein Pilot kommt ihn besuchen?“ Feiertage, Urlaubszeit – wen kann man fragen, wer traut sich diese Aufgabe zu? Nach zahlreichen Telefonaten und dank der Unterstützung helfender Kollegen meldet sich ein Pilot: „Ich übernehme diese Aufgabe gerne.“ Schon am nächsten Nachmittag steht der Besuch beim Patienten an, der nichts weiß von dem Besuch. Die Überraschung gelingt, der junge Mann ist begeistert – will zahlreiche Details wissen, lässt sich Unterschiede zwischen Airbus- und Boeing-Flugzeugen erklären, fragt den Piloten Löcher in den Bauch. Es wird gelacht – und auch geweint. 

Nach über zwei Stunden verabschiedet sich der Besuch. Worte sind hier überflüssig, ein fester Händedruck sagt viel mehr aus. „Danke, dass Sie gekommen sind“, sagt die Ärztin zum Abschied. „Jeder Tag ist ein kleines Leben.“

Steffen Milchsack