PatientInnen auf einer Palliativstation leiden an Erkrankungen, die so weit fortgeschritten sind, dass keine Aussicht auf Heilung mehr gegeben ist. Menschen darin zu unterstützen, Zugänge zu ihren eigenen Gefühlen, zu ihren gesunden Anteilen zu finden und seelische Kräfte zu entwickeln, ist das Anliegen der Kunsttherapie. Die Arbeit findet im Einzelkontakt auf dem Patienten-Zimmer statt, in einem zeitlichen Rahmen, der der Verfassung der jeweiligen Person angemessen ist.

Das kunsttherapeutische Angebot am Krankenbett soll unseren Patienten die Möglichkeit geben, über den Weg der „Kunst“ ihre Erkrankung mit den einhergehenden Belastungen zu verarbeiten. Manchmal hilft das Angebot aber auch den Patienten, sich von Schmerzen, Übelkeit oder der ständigen Todesdrohung abzulenken. Das Angebot ist auch deshalb besonders wertvoll, weil es den Patienten erlaubt, sich auszudrücken ohne viel sprechen oder selber alles verstehen zu müssen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Patienten, die dringend nach Entlastungsmöglichkeiten suchen und aufgrund behandlungsbedingter Nebenwirkungen (z.B.Luftnot) nicht über ihre Situation sprechen können. Auch hier bietet das kunsttherapeutische Angebot eine dankbar angenommene Entlastungsmöglichkeit mit positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten.

Auf der Palliativstation bietet die Kunsttherapie die Möglichkeit, in dieser Umbruchsituation einen Lebensrückblick zu halten und noch mal Spuren zu hinterlassen, die den Verwandten und Freunden den Einstieg in ein Gespräch erleichtern und später eine Erinnerung zu haben, die bei der Trauerarbeit helfen kann.

 

Kontaktaufnahme:

Kunst-Schiff

Gemeinsam mit dem Patienten spüre ich dem nach, was sich im Bild zeigt. Vielleicht sind es Wut oder Ängste. Möglicherweise ist es auch der Wunsch nach Veränderung von Bedingungen oder Einstellungen, die zu einem ‚ruhigeren Gewässer‘ führen.

Wie fühlen sie sich? Wie ein Boot im Sturm auf hoher See.

 

Individuelle Themenbearbeitung:

Kunst-Pfeil

Der Patient fühlt sich aus dem Puls der Zeit geschleudert. Nichts ist mehr, wie es vorher war. Er sucht nach Möglichkeiten, die Kontrolle über sein Leben zu erlangen.

 

 

Kunst-Frau

Wie ein Fisch fühlt sich die Patientin, in einem für sie ungewohnten Element. Sie sucht nach Hilfe, Unter-stützung und wendet sich einer ‚höheren Macht‘ zu.

 

 

Kunst-Baby

Die Sehnsucht nach kindlicher Geborgenheit kommt hier für eine Patientin zum Ausdruck. Wo kann sie dieses Gefühl in ihrer Situation noch finden?

 

Unsere Form der „Kunstgeschichte“:

Eine 75jährige Patientin ist neu auf der Station und soll ca. eine Woche stabilisiert werden. Ihr Mann ist bei ihr (spanischer Herkunft). Danach wird sie nach Hause entlassen werden und ein Pflegedienst bzw. SAPV-Team beauftragt.

Die Patientin klagt über Rückenschmerzen. Sie trägt ein Korsett und liegt die meiste Zeit flach im Bett, sie kann nicht lange sitzen oder gehen. Ansonsten ist sie eine sehr ruhige Person und macht einen ausgeglichenen Eindruck. Bei ihr sitzt, Zeitung lesend, ihr Mann.

Ich überlasse ihr meine Postkartenkiste und bitte sie, sich eine Karte auszusuchen, die sie gerade am meisten anspricht. Bald hat sie eine Karte gefunden: August Macke, Am Gartentisch (1914). Sie sagt, sie habe die Karte gesehen und gedacht, das seien ihr Mann und sie. In Spanien befand sich ein großer Garten am Haus mit Gartentisch, an dem sie oft gesessen hatten. Hier in Deutschland gäbe es bei ihnen nur einen Balkon. Letztes Jahr hatte sie Geranien darauf gepflanzt, dieses Jahr war es ihr wegen der Erkrankung nicht möglich. Ich bot ihr eine vergrößerte Schwarz-Weiß-Kopie (DIN A4) an. Ihr Mann übernahm das Malen:

                Kunst-OriginalKunst-Ehemann

                                                                    Original                                        Ehemann

Er malte, ohne sich zu zieren, so als ob er nie etwas anderes getan hätte. Das Bild überreichte er seiner Frau als Geschenk und wir klebten es mit Kreppband an die Wand neben ihrem Bett. Beide waren sehr zufrieden und freuten sich an dem Motiv. Im Geiste waren sie in Spanien.

Während dieser Zeit gab es keinen Hinweis auf Schmerzen!

Noch eine Geschichte – Entlassung ins Hospiz:

Sent: Wednesday, July 15, 2015 11:17 AM

To: ts@swarovski.de

Subject: Hospiz Wetzlar

Sehr geehrter Herr S.,

mein Name ist Beate Stein. Ich bin Kunsttherapeutin an der Universitätsklinik Frankfurt, Palliativstation. Dort arbeitete ich mit einer 53-jährigen Patientin, die aufgrund eines Tumors auf unserer Station lag. Mittlerweile ist sie im Hospiz in Wetzlar.

Sehr geschwächt malte sie zwei Bilder. Als wir darüber sprachen, meinte sie, diese Bilder erinnerten sie an Swarovski-Perlen. Sie sei einmal in Wattens gewesen und habe sich die Kristallwelten angesehen, an denen André Heller mitgewirkt habe. Sie habe auch eine Kette mit Swarovski-Perlen besessen, die sie an einen Sommerurlaub erinnerten. Bei all dem Schweren, das die Patientin gerade erfährt, möchte ich gerne das aufgreifen, was ihr in ihrem Leben gut getan hat und das ihr Leben etwas ‘verzaubert’.

Darum möchte ich mich heute an Sie wenden, um zu fragen, ob Sie eine Möglichkeit hätten, dieser Frau eine Freude zu bereiten mit einem Gruß aus Wattens. Vielleicht eine schöne Postkarte, eine Glasperle o.ä.

Ich weiß, Sie sind sicher vielseitig beschäftigt aber ich war selbst schon in Wattens – und wenn es eine Firma vermag, jemanden zu verzaubern, dann glaube ich, sind es Ihre Kristallwelten.

Gerne kann ich Ihnen eine Adresse übermitteln.

Mit freundlichen Grüßen

Beate Stein

Kunsttherapeutin

Dipl.-Sozialpädagogin

 

Sehr geehrte Frau Stein,

als Betriebsleiter der Swarovski Kristallwelten bedanke ich mich für Ihr Schreiben und die Bemühungen rund um die Freude am Leben und um Momente, die das Leben verschönern oder erleichtern, manchmal auch trotz großer Herausforderungen und Bürden, die ein Mensch auf sich nehmen muss.

Sehr gerne werden wir unsererseits bestmöglich helfen, ein Funkeln in den Alltag Ihrer Patientin zu bringen.

[…]

Mit kristallinen Grüßen

 

Unsere Patientin erhielt bald darauf ein Päckchen mit einem Kristall, den sie an ihr Fenster im Hospiz hängen ließ. Darin brach sich bei Sonnenschein das Licht in Regenbogenfarben, die in aller Pracht an den Wänden ihres Zimmers schimmerten.

Beate Stein, Kunsttherapeutin

 

Erzähl es mir, und ich vergesse es.
Zeig es mir, und ich erinnere mich daran.
Lass es mich tun, und ich verstehe es.
Chinesisches Sprichwort