Kunsttherapie auf der Palliativstation

Mein Name ist Dagmar Marth, ich arbeite als Kunsttherapeutin auf der Palliativstation im Sana Klinikum Offenbach und möchte hier einen kleinen Einblick in meine Arbeit geben.

Man fragt sich vielleicht warum man Kunsttherapie bei schwerstkranken Menschen, die als nicht mehr „heilbar“ auf der Station behandelt werden überhaupt braucht? Hat Therapie nicht auch immer etwas mit Heilung oder zumindest Besserung zu tun?

Die Antwort ist: Ja, Kunsttherapie hilft bei der Heilung und bei der Linderung von Leiden, auch wenn der Mensch als körperlich „unheilbar“ gilt. Denn im schwerstkranken Menschen, mit all seinen Gebrechlichkeiten, mit all dem was nicht mehr richtig funktioniert und den Schmerzen, die er auch immer wieder hat, befindet sich eben auch die Seele. Die Seele des Menschen ist der Adressat der Kunsttherapie innerhalb der Palliativarbeit. Und wir wissen ja, wenn die Seele sich freut oder sich entspannt, geht es dem Körper auch besser.

Für manche Patienten ist das Gestalten etwas, bei dem sie ihre Krankheit für eine Weile vergessen und sich dem Hingeben können, was noch an Möglichkeiten in ihnen steckt, was sie noch können und was evtl. noch ganz gut funktioniert. Das nennen wir Ressourcenstärkung. Für andere Patienten ist das Einlassen auf die Kunsttherapie ein ganz neues Erlebnis. Sie entdecken einen Teil von sich ganz neu und sind erstaunt, dass sie tatsächlich etwas gestalten können, auf das sie stolz sind und das ihnen Freude bereitet. Das erweitert die Selbstwahrnehmung. Wir gehen davon aus, dass es nie zu spät ist, Neues zu entdecken und sei es ein paar Wochen oder Tage vor dem Tod. Wir sehen nicht nur den kranken und evtl. sehr bald sterbenden Menschen, sondern vor allem den lebenden. Die Kunsttherapie stellt ein Rendezvous mit dem lebendigen Anteil im geschwächten und gebrechlichen Menschen her.

Wir Menschen sind Ausdruckswesen und müssen uns und unsere Gefühle immer in irgendeiner Form ausdrücken. Das können auch negative Gefühle sein. Aber auch diese wollen ausgedrückt werden. Der erlaubte und vom Gegenüber gewürdigte Selbstausdruck, egal welcher Art, tut gut, macht die Seele immer ein Stückchen heiler, auch wenn man das im Außen vielleicht gar nicht so offensichtlich bemerkt.

 

  1. Beispiel einer kunsttherapeutischen Arbeit

 Zu diesem Selbstausdruck möchte ich nun ein Beispiel geben. Es geht hierbei um einen Patienten, der durch einen Hirntumor nur noch eingeschränkt und undeutlich sprechen konnte. Auch seine Hände und Arme konnte er nur noch sehr schwer dort hinbewegen, wo er es wünschte. Den Pinsel hielt er zwar mit Mühe, war aber in der Lage, die Farbe mehr oder weniger kontrolliert aufzutragen.

Nachdem ich mit ihm einige Farbexperimente mit abstraktem Farbauftrag und einer sehr einfachen Drucktechnik gemacht hatte, was ihm jedes Mal gut gefallen hatte, wollte ich in der vierten Sitzung stärker auf seine Gefühle und ihn als Menschen in seiner jetzigen Situation eingehen.

 

 

Ich malte ihm einen roten Kreis ins Zentrum des Bildes. In der Kunsttherapie wird diese Art der malerischen Aufforderung benutzt, um dem Klienten/Patienten einen erleichterten Zugang zu dem zu ebnen, was im Zentrum seines jetzigen Seins steht. Der Kreis in der Mitte fokussiert wie ein Vergrößerungsglas, was den Menschen gerade bewegt, was ihn beschäftigt oder wie er sich selbst erlebt.

Der Patient malte rote Linien vertikal und horizontal von einem Ende zum anderen des Kreises. Gefragt, was er male, sagte er: „Ein Gefängnis“. Nun war ich neugierig und fragte weiter. Er erklärte mir, dass es ein „Haigefängnis“ sei. Da sitzen die Forscher drin und beobachten die Haie, die draußen „frei schwimmen“. Nun wollte er, dass ich ihm Fische drumherum male. Er wünschte sich Delphine und dann einen bunten Fisch. Er selbst malte das Meer. Dies war ein gemeinsamer, intensiver Prozess, bei dem wir immer wieder im Handy nach der für ihn passendsten Vorlage für die Fische suchten (da er es verbal nicht ausreichend beschreiben konnte), die ich dann für ihn malte. Als das Bild fertig war, stellte sich bei ihm und bei mir ein gefühlsmäßiger Erfolg und eine Sinnhaftigkeit ein, die er als „das war interessant heute“, beschrieb.

Was bedeutet das Gemalte?

In der Palliativarbeit geht es meist nicht um die Interpretation des Gemalten, sondern der Ausdruck reicht in der Regel, denn der Patient, weiß was er gemalt hat, wenn auch meist nicht bewusst. Aber ich sehe immer wieder in Bildern die Situation der Patienten und freue mich, dass sie sie wenigstens im Bild zum Ausdruck bringen konnten und dass jemand es gesehen hat – es braucht immer mindestens einen Zeugen, damit der Selbstausdruck die Seele befriedigt -, der akzeptierend annimmt, ohne in Frage zu stellen.

Der Patient hat meiner Meinung nach sein Gefängnis dargestellt, in das ihn seine Krankheit gezwungen hat. Er konnte fast nur noch beobachten, was um ihn herum passierte. Er konnte sich nicht mehr selbstständig wegbewegen, musste da bleiben, wo man ihn hinlegte oder setzte. Und von dort aus beobachtete er, nahm er die Anderen um ihn herum vielleicht als „frei schwimmend“ war. Vielleicht waren sie manchmal auch Haie für ihn, wenn er unzufrieden war oder Angst hatte. Aber letztendlich hatte er sich für die friedlichen und beziehungsorientierten Delphine in seinem Bild entschieden, die ja tatsächlich immer wieder auch für Heilungszwecke eingesetzt werden (Vielleicht waren das die Ärztinnen und das Pflegepersonal) und einen bunten Fisch, der ihm Farbe und Freude brachte (vielleicht war ich das).

 

  1. Beispiel einer weiteren kunsttherapeutischen Arbeit

 

Erstes Bild:

Diese drei kleinen Leinwände (ca. 7×7 cm) sind von einem Patienten bemalt worden, der als Familienvater immer wieder mit seinen Kindern gemalt hatte und insofern, dem Malen zugetan war. Er ist zum Zeitpunkt der Texterstellung gut in der Lage selbstständig zu malen und zu zeichnen. Beim Farbenmischen helfe ich ihm und stehe ihm beim Malen beratend zu Seite.

Er wusste gleich bei der ersten Leinwand, dass er einen Baum auf einer Wiese malen wollte. Die Bank erinnere ihn an seine letzte Reha. Das war seine Bank, auf der er sich ausruhte, auf der er mit sich in der Natur sein konnte, und ein schützender Baum steht neben ihm. Hier hat er also einen Wohlfühlort gemalt. Dies ist in der Kunsttherapie immer wieder ein wichtiges Thema, denn durch das Malen eines Ortes, der gut tut, stellt sich ein Wohlgefühl ein. Das Gehirn unterscheidet nicht zwischen einem tatsächlichen Ort, an dem man sich befindet oder einem intensiv vorgestellten und mit Gefühlen aufgeladenen Ort.

Zweites Bild:

Er hatte sich in der Zwischenzeit überlegt, dass er seinen jüngsten Enkel malen wolle, der noch gar nicht geboren ist, mit dem seine Tochter aber schwanger ist. Dieser Enkel hat auch schon einen Namen. Wenn er über seine Enkel und besonders diesen ungeborenen Jüngsten spricht, ist er immer sichtlich berührt und ergriffen. Er weiß wohl, dass es sein könnte, dass er seinen jüngsten Enkel vielleicht nicht mehr erleben wird. So holt er sich ihn als lächelnden Säugling, vor einem zartblauen Hintergrund, auf dem er zu schweben scheint, auf die Leinwand.

Drittes Bild:

Auch dieses Mal, als ich kam, hatte er sich schon vorbereitet und eine Idee parat. Ihn hat die Wandmalerei der Station im Flur positiv beeindruckt und er ließ sich von einem Familienmitglied einen Ausschnitt als Vorlage abfotografieren. Hier setzt er sich also ganz konkret mit seiner Gegenwart auf Station auseinander, die er offensichtlich als freundlich, hell und fruchtbar erlebt. Auch die Beziehungen mit dem Personal auf Station erlebt er offenbar positiv (Die Zwei, deutlich herausgestellt, hier als Bäume, sind ein Beziehungssymbol). Die Bäume sind strahlend hellgelb und freundlich, außerdem tragen sie Früchte, die er sogar mit Stielen ausstattet.

Er teilt seine Bilder mit seiner ganzen Familie, in dem er sie betrachten lässt und Fotos übers Handy auch an die nicht Anwesenden verschickt und so mit seinen Gestaltungen kommuniziert.

Er hat noch weitere Bilder in Planung. Derzeit eine Kirche. Vielleicht kommt hier das spirituelle Moment zum Tragen.

 

  1. Drittes Beispiel einer kunsttherapeutischen Arbeit

 Zur kunsttherapeutischen Aufgabe auf der Palliativstation gehört auch die Arbeit mit den Angehörigen, falls diese das wollen. Angehörige verbringen zum Teil sehr viel Zeit auf Station und bauen insofern immer wieder auch eine Art Beziehung zum Personal auf, das Ihnen zur Seite steht, wenn sie es brauchen. Trost und Beistand, Verständnis, Gespräche, Beratung und auch Kunsttherapie wird Ihnen zu Teil. Hier ein Beispiel der Kunsttherapie mit einer Angehörigen, die viele Tage am Bett ihres Lebensgefährten verbrachte. Sie hatte sich in ihrem bisherigen Leben nicht für das Malen interessiert und lehnte das Angebot erst einmal ab. Durch einige zwanglose und fast zufällige Gespräche in der Stationsküche fasste sie Vertrauen zu mir und fing an Ihr Herz auszuschütten. Mir wurde deutlich, dass sie gefühlsmäßig sehr unter Druck steht und nicht weiß wohin mit ihren Gefühlen. Ich schlug ihr vor, einen Versuch zu wagen, ihre Gefühle im Bild auszudrücken. Sie nahm das Angebot nach einigem Zögern und Zweifeln an und wir zogen uns ins Stationswohnzimmer zurück.

 

Erstes Bild:

Sie zögerte noch lange, bevor sie malte, zog sich immer wieder auf das ihr vertrautere Gespräch zurück und dann kam doch der Moment wo ich ihr vorschlagen konnte ihre Wut zu malen. Sie hatte viel Wut auf eine Angehörige ihres Lebensgefährten angestaut. Diese Wut quälte sie immer wieder und lies sie schwer zur Ruhe kommen.

Etwas beschämt nahm sie einen roten Stift um dann mit Energie und Kraft ihre Wut in Zackenlinien aufs Papier zu werfen. Damit war der Bann gebrochen und das Bild konnte weitere Formen und Farben annehmen. Es bekommt viel Rot im Zentrum, was aussieht wie eine Wunde oder ein Kampfplatz. Sie lässt die Farbe auch spritzen, wie man an einigen Spritzern auf dem Bild sehen kann. Drumherum malt sie Blau zur „Abkühlung“. Da ist noch etwas Hellgrün rechts zu sehen – Gebilde, wie Pflanzenstängel mit kleinen Blättern vielleicht, die nach rechts aus dem Bild herauszugehen scheinen.

Die Wut hat einen Platz gefunden, sie ist ausgedrückt, gezeigt und jemand hat sie gesehen, war dabei und hat es in Ordnung gefunden. Sie selbst konnte sich dann Abkühlung mit dem Blau schaffen. Die grünen Stängel gehen in Richtung Zukunft (Die rechte Seite des Bildes ist die Zukunftsseite). Grün ist eine beruhigende, ausgleichende Farbe. Helles Grün bedeutet meist, besonders wenn es in Pflanzenform gestaltet ist, dass da was Neues wächst. Sie kann meine Sichtweise ihrer Gestaltung teilen und ist erstaunt und erfreut, was bei ihrem erstmaligen Versuch herausgekommen ist. Sie wundert sich auch, dass ein solcher gestalterischer Ausdruck so guttun kann und ihr noch dazu so gefällt. Das Datum und ihre Signatur unterstreichen die Wichtigkeit des Bildes für sie.

Zweites Bild:

Zum Zeitpunkt der zweiten Sitzung befindet sich ihr Lebensgefährte in der Sterbephase. Sie ist traurig und nimmt innerlich Abschied von ihm. Sie malt einen sterbenden Baum. Sie kann weinen und zulassen, dass der einstmals kräftige, lebensfrohe Partner vor ihren Augen vergeht. Die Landschaft und der Himmel sind freundlich und rechts werden die Farben zarter und die Landschaft läuft unbestimmt aus. Ihre Zukunft ohne ihn ist für sie schon vorstellbar, aber noch nicht klar definiert. Auch mit diesem Bild ist sie sehr zufrieden und nimmt beide Bilder dann mit nach Hause.

 

 

Dagmar Marth

Kunsttherapeutin grad. DGKT

Heilpraktikerin für Psychotherapie

www.atelier-kunst-und-therapie.de

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