Psychoonkologie im palliativen Kontext

„Wieso Psycho…..mein Kopf funktioniert doch noch ganz gut?“

Eine solche Reaktion auf meine Vorstellung bei Patienten auf der Palliativstation ist nicht selten und auch durchaus verständlich. Schließlich sind unsere Patienten in der Regel nicht psychisch krank, sondern körperlich. Aber die Erfahrung, dass eine fortschreitende und als Bedrohung empfundene Erkrankung sich auch auf der psychischen und sozialen Ebene ausdrücken kann, haben doch fast alle Patienten mehr oder weniger gemacht.
Also nicht der Patient, sondern die momentanen Lebensumstände sind ver-rückt – aus der normalen Bahn geworfen.

„Und wie können Sie mir jetzt helfen?“ ist häufig die zweite sich anschließende Frage.

Eine gute Frage, auf die ich auf Anhieb meist keine Antwort weiß. Ja wieso denn – werden nun einige Leser fragen – Sie haben das doch gelernt?

Was ich gelernt habe und anbieten kann, ist eine interessierte und unvoreingenommene Haltung meinem Gesprächspartner gegenüber. Ich biete Raum und Zeit an, damit sich der Patient mit seinen eigenen Fähigkeiten zur Problemlösung auseinandersetzen kann. Aufgrund meiner systemischen Therapieausbildung, steht für mich der Mensch als prinzipiell autonom und als Experte seiner selbst im Mittelpunkt. Wie sollte ich da besser wissen, was für diesen einen Menschen mit seiner ganz eigenen Geschichte die beste Lösung für sein derzeitiges Problem ist?

Natürlich habe ich aber auch einiges an Rüstzeug zur Verfügung, um Patienten in die Nähe ihrer eigenen Ressourcen und Stärken zu bringen, die aufgrund schwerer Krankheit nur schwer zugänglich sind. Dabei ist aufgrund der oftmals kurzen Dauer des stationären Aufenthaltes und auch der begrenzten Lebenserwartung der Patienten, ein konsequent lösungsorientiertes Vorgehen notwendig. Es geht darum, die ersten Schritte in Richtung der zurzeit bestmöglichen Lösung für alle Beteiligten zu finden oder zumindest anzustoßen.

Frau B. ist aufgrund einer Querschnittsymptomatik nicht mehr in der Lage selbständig aufzustehen. Die früher sehr aktive Frau ist gegenüber den Krankenschwestern sehr launisch, unfreundlich und fordernd. Im Gespräch mit mir beschwert sie sich über das Pflegepersonal. Es wird schnell deutlich, dass das eigentliche Problem in der Akzeptanz der Hilfsbedürftigkeit liegt. Die Frage ist dementsprechend, wie die Patientin in dieser Situation die größtmögliche Selbständigkeit behalten und gleichzeitig die notwendige Hilfe der Schwestern annehmen kann. Ganz praktisch bekam Frau B. einen zusätzlichen Beistelltisch an ihr Bett gestellt, auf dem sie benötigte Gegenstände lagern konnte, so dass sie nicht jedes Mal nach den Schwestern klingeln musste. Die Krankenschwestern vereinbarten mit ihr, dass einmal pro Stunde jemand bei ihr reinschaut.

 Der Einsatz von Visualisierungsmethoden, also das Sichtbarmachen von als problematisch empfundenen Kontexten, ermöglicht oftmals in sehr „anschaulicher“ oder auch „begreifbarer“ Weise zu einer Lösung zu gelangen.

Beispiel Lebensbogen

(Beispiel eines Lebensbogens einer 53 jährige Patientin, die an Brustkrebs erkrankt ist)

Vor allem in Bezug auf die Anamnese bisheriger Lösungsversuche und der Visualisierung von vorhandenen Ressourcen und Stärken, können solche Methoden sehr hilfreich sein.

Viele Patienten empfinden es als hilfreich, ihre Belastungen mit einer fremden Person, die nicht Teil ihres Bezugssystems ist, zu besprechen. Oftmals gelingt es auch dadurch, eine Außenperspektive beizusteuern und dadurch das Geschehen in ein anderes Licht zu setzen. In der Systemik sprechen wir dabei vom Reframing, also dem Ganzen einen neuen Rahmen geben.

Herr C. berichtet mir in einem Gespräch, dass es zuhause Probleme mit dem jüngsten Sohn (15J) gibt. Er sei bockig, schwänze die Schule und höre nicht auf seine Mutter. Auch die älteren Geschwister (23J. und 25 J.) können sich kein Gehör bei ihm verschaffen. Herr C. versteht nicht, dass sein Sohn so reagiert, da doch jetzt alle zusammenhalten müssten. Eigentlich sei der Sohn immer sehr ruhig und umgänglich gewesen.

Auf meine Einladung zum Familiengespräch kommt auch der jüngste Sohn ins Krankenhaus. Er spricht zunächst nicht, hört nur zu, was die anderen Familienmitglieder zu berichten haben. Schon bald wird im Gespräch deutlich, dass dies das erste Mal ist, dass die gesamte Familie ein gemeinsames Gespräch über die Erkrankung des Vaters führt, vor allem der jüngste Sohn sollte „geschont“ werden. Das vom Rest der Familie als „bockig“ bezeichnete Verhalten des Sohnes wird von mir in einen anderen Rahmen gesetzt, indem ich ihm Anerkennung dafür gebe, dass er es mit diesem Verhalten geschafft hat, die ganze Familie an einen Tisch zu bringen. Im weiteren Verlauf kann der Sohn formulieren, dass er große Angst habe, dass der Vater bald sterben werde und dass man ihm nicht die Wahrheit sage.

Die Familie hat verstanden, dass alle Mitglieder, auch der jüngste Sohn, in dieser schweren Zeit als Team zusammenarbeiten müssen; der Sohn konnte nun sein aufsässiges Verhalten ablegen.

Meine Aufgabe als Psychoonkologin ist also nicht das Finden von Lösungen, sondern dem Patienten Möglichkeiten der eigenen Lösungsfindung aufzuzeigen.

Ein Beitrag von Karin Maaßen-Kolotas

Psychoonkologin auf der Palliativstation am Sana Klinikum Offenbach