Ich fluche ja manchmal ganz gerne… Ist irgendwie eine gute Entlastung, bevor man Schlimmeres anstellt. Allerdings ist mir der Fluch in der Titelzeile noch viel zu harmlos für das, was Corona mit uns anstellt. Nach dieser Woche muss ich einfach mal schreiben, was genau Corona für die Palliativmedizin und für unseren Alltag bedeutet. Seit Januar ist nichts mehr so, wie es war! Das gilt natürlich nicht nur für die Palliativversorgung, trotzdem muss das jetzt mal runter von meiner Seele!

Warum habe ich mich damals für die Palliativmedizin entschieden? Weil es eine andere Form der Medizin ermöglicht, nämlich eine zugewandte und personenorientierte Form. Nicht dass die anderen Disziplinen nicht auch wichtig wären. Wenn ich einen Blinddarmdurchbruch habe, benötige ich einen handlungsorientierten schnell agierenden Chirurgen plus einem guten Anästhesisten. Über mein bisheriges Leben möchte ich da nun wirklich nicht philosophieren! Dafür nehme ich auch gerne einen etwas ruppigeren Ton in Kauf. Allerdings ist das dann auch in der Regel nicht der letzte Abschnitt meines Lebens – hoffentlich!

Was mich in der Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen täglich trägt, ist die Möglichkeit durch Zuwendung und Zuhören die Situation zu entlasten und so dem Patienten und seinen Angehörigen Mitgefühl zu vermitteln und darüber hinaus auch ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Denn immerhin vertraut uns dieser Mensch die letzten Stunden, Tage oder Wochen seines Lebens an! Ich erlebe oft Situationen, in denen es einfach nichts mehr zu sagen gibt. Jedes Wort, jede Beurteilung, jedes Überstülpen meiner Denkmuster und Werte wären hier fehl am Platz.

Was kann ich dann eigentlich noch tun? Als Erstes natürlich einfach mal die Klappe halten und dann körperliche Zuwendung durch Umarmungen oder streichelnde Gesten, die Mitgefühl vermitteln – soweit es denn in die Situation und zu diesem Menschen passt. Da braucht man viel Feingefühl! Ich kann ja nicht mit jedem Patienten und Angehörigen mitleiden, dann wäre ich handlungsunfähig und das würde nicht weiterhelfen. Aber ich kann durch Nähe signalisieren, dass ich das Leid und den Schmerz des Anderen sehe und respektiere – das ist in der heutigen geräteorientierten Medizin schon viel.

Das Alles trägt mich und lässt mich jeden Tag wieder gerne Patienten und deren Familien begleiten und das durch alle Emotionen hindurch. Nicht immer sind wir hier die Guten. Wir müssen mit vielen Emotionen klar kommen, zum Beispiel heftigen Aggressionen gegen uns persönlich. Wir versagen ja schließlich bei den Allheilsversprechen der modernen Medizin. Wir sprechen Worte wie Sterben und Tod aus – das ist in einigen Kulturen ein absolutes Tabu! Wir verweigern Diagnostik und Therapie, wir haben aufgehört für den Patienten zu kämpfen, etc., etc. Diese Herausforderungen nehme ich jedoch gerne an und wenn eine anfänglich aufgeheizte Situation nachher in eine gute Sterbebegleitung mündet, dann habe ich alles richtig gemacht.

Wie ist es jetzt in Zeiten von Corona? Körperliche Zuwendung, Umarmungen, tiergestützte Therapie, Massagen, Klangtherapie? Fehlende Emotionen hinter Gesichtsmasken – für beide Seiten! Unfassbar schwierig! Ich fürchte mich nicht so sehr, dass ich mich anstecken könnte, da bin ich Fatalist. Aber die Vorstellung ich könnte unwissentlich einen Patienten oder Angehörigen infizieren, das belastet mich sehr. Also schränke ich jeden körperlichen Kontakt auf ein Minimum ein – wirklich bitter!

Ebenfalls sehr belastend ist die fehlende Begleitung unserer Patienten durch Angehörige. Etwas, dass bisher zu den Grundpfeilern der Palliativmedizin gehörte. Vor Corona hatten wir 10 Patienten und 30 Angehörige auf Station, die oft sehr viel mehr Betreuung brauchten, als die Patienten selbst! Aber das war eben unsere tägliche Herausforderung.

Und da haben wir noch Glück, denn Palliativpatienten dürfen trotzdem besucht werden. Zwar mit Einschränkungen, aber immerhin bei Sterbenden sogar ohne Zeitbeschränkung. Das trifft aber nicht zu, wenn der Patient mit Corona infiziert ist. Dann wird er ohne weitere Möglichkeit auf Angehörigenkontakt auf die Corona-Isolierstation versorgt. Diese Woche hat es eine unserer Pflegekräfte getroffen. Wir hatten ihren Vater zum Sterben aufgenommen und er wurde leider positiv getestet. Unerträglich für alle Beteiligten. Jetzt hat sie 10 Jahre lang sehr liebevoll Patienten und deren Angehörige versorgt und begleitet und jetzt wird das für sie nur mit Abstand möglich sein, da sie mit der ganzen Familie in häuslicher Quarantäne verbleiben muss. Verzweiflung und Hilflosigkeit pur! Ich weine eher selten, aber das hat bei uns allen Spuren hinterlassen. Und so geht es ja gerade vielen Angehörigen: Man gibt den Menschen im Krankenhaus ab und das war vielleicht der letzte Blick und Kontakt- kompletter Kontrollverlust. Es gibt keine Worte, die diese Gefühle ausdrücken könnten.

Trotzdem müssen wir unser Leben mit Corona gestalten und ja – es gibt auch Positives zu berichten. Dies wird der Inhalt meines nächsten Beitrages sein. Also bleiben sie gesund, damit sie weiter meinen Blog lesen können! 🙂

Ihr Master of Corona-Desaster

 

Die Welt ist im Wandel und noch nie hatten wir so viel Zeit uns selbst kennenzulernen und zu akzeptieren, dass es im Moment ist, wie es ist.

Bildquelle: MJ. Hiblen Art, Facebook