Heute gibt es hier schwere Kost. Also lesen sie lieber nicht weiter, wenn es Ihnen sowieso schon nicht gut geht!

Wir haben eine 24-Jährige Frau mit Mann und zwei kleinen Kindern über Monate begleitet. Letzte Woche ist sie gestorben und wir sind alle traurig – mehr als sonst!

Es gab viele Herausforderungen – kultureller und emotionaler Art. Die Familie stammt aus Afghanistan und lebte noch nicht so lange in Deutschland. Trotzdem sprachen beide gut Deutsch und wenn es kompliziert wurde, gab es einen sehr engagierten Übersetzer. Aufgrund des kulturell geprägten „Man muss alles tun – bis zum Schluss!“ gab es viele Krankenhauseinweisungen – meistens gegen unsere Empfehlung. Der Hausarzt war ebenfalls aus dem gleichen Kulturkreis und hat dies sehr offen mit uns kommuniziert: „Sterben und Tod ist ein absolutes Tabu, man spricht es einfach nicht an. Ich kann hier nicht anders handeln und weise die Patientin deshalb immer wieder ein. Ich kann das sonst nicht aushalten!“ Wir konnten diesen Weg gut mitgehen, auch dann, wenn es in den verschiedenen Kliniken richtig schlecht lief.

Während all dieser Zeit sind wir besonderen Menschen in dieser kleinen Familie begegnet. Der Ehemann, der alles organisiert hat und zusätzlich den Haushalt und die Kinder versorgt hat. Er hat gekocht, geputzt, die 6-jährige Tochter zur Schule gebracht und abgeholt, den 2-jährigen Sohn zuhause versorgt und zum Schluss sehr liebevoll seine Frau gepflegt. Eine Haushaltshilfe hat er immer abgelehnt und trotzdem war es immer sehr sauber in der Wohnung und es roch oft köstlich nach frisch gekochtem Essen. Hier sind alle meine Vorurteile zum Thema muslimische Männer zu Staub zerfallen!

Beeindruckend war auch die 6-jährige Tochter – sicher reifer, als es für ihr Alter gut war. Sie hat zum Beispiel ganz wunderbar den 2. Geburtstag für ihren Bruder gestaltet, da die Patientin schon zu schwach dafür war. Die Patientin hat in einem Hausbesuch unter Tränen erzählt, wie schwer es für sie sei, dass sie schon jetzt keine Mutter mehr für ihre Kinder sein konnte. Das war für sie besonders hart, da sie vor der Erkrankung in der Ausbildung zur Erzieherin war und zum Beispiel das Kinderzimmer sehr liebevoll gestaltet hatte. Wenn man selbst Kinder hat, begegnet man hier ungebremst seinen eigenen Ängsten und das muss man auch als „Professionelle“ erst irgendwohin packen, um weiter eine gute Begleitung zu gewährleisten.

 

 

 

Übrigens konnten wir ihr mithilfe von Wunsch am Horizont (www.wunsch-am-horizont.de) noch einen riesigen Wunsch erfüllen. Sie wurde in den Iran geflogen, um ihre Mutter nochmal besuchen zu können. Für das Team von Wunsch am Horizont eine große Herausforderung – die sich aber mehr als gelohnt hat! Hier mein großes Danke für die tolle Arbeit, die diese Mitarbeiter leisten!

Mitte Februar war klar, dass es jetzt ernst wird. Nach einem katastrophalen Krankenhausaufenthalt hat sich die Patientin gegen weitere Krankenhausaufenthalte entschieden und uns gebeten, sie zuhause zu begleiten. Sie hat oft geäußert, dass sie weiß, dass sie Sterben muss, aber das sie hofft, dass es noch lange dauert. In der letzten Woche konnten wir zunehmend offen über den baldigen Tod sprechen und sie hat noch einen weiteren Wunsch geäußert. Wir sollten einen Kleingarten für den Mann und die Kinder organisieren, da sie immer alle gerne in der Natur sind und Pflanzen sehr lieben. Sie dachte, dass die Gartenarbeit ihrem Mann und den Kindern ihre Trauer erleichtern würde. Ich habe ihr das fest versprochen und sie wirkte danach deutlich erleichtert. Die Pflegekraft hat sie dann nach ihren Lieblingsblumen gefragt und dann hat sie mit einem strahlendem Lächeln „Rote Rosen!“ gesagt. Also sind wir direkt losgezogen und haben ihr 50 rote Rosen besorgt. Das Foto dazu finden sie als Beitragsfoto. Das überraschte und glückliche Lächeln war es alle Mal wert! Drei Tage später ist sie friedlich zuhause gestorben, der Rosenstrauss immer an ihrem Bett. Auch das ist palliativmedizinische Versorgung!

Wir alle hätten ihr noch mehr Jahre mit ihrer wundervollen Familie gegönnt, aber das Schicksal hat es anders entschieden. Für uns als Begleiter gilt jetzt vor allem eins – Aushalten! Die nächste Supervision wartet schon!

Und ich habe mal wieder einen neuen Titel geerbt – Master of Kleingartendesaster!

Für mich soll’s rote Rosen regnen

Mit 16, sagte ich still
Ich will
Will groß sein, will siegen
Will froh sein, nie lügen
Mit 16, sagte ich still
Ich will
Will alles oder nichts
Für mich soll’s rote Rosen regnen
Mir sollten sämtliche Wunder begegnen
Die Welt sollte sich umgestalten
Und ihre Sorgen für sich behalten
Und später, sagte ich noch
Ich möcht verstehen, viel sehen, erfahren, bewahren
Und später, sagte ich noch: Ich möcht
Nicht allein sein und doch frei sein
Für mich soll’s rote Rosen regnen
Mir sollten sämtliche Wunder begegnen
Das Glück sollte sich sanft verhalten
Es soll mein Schicksal mit Liebe verwalten
Und heute, sage ich still
Ich sollt
Mich fügen…

Hildegard Knef