Das Jahr habe ich mit dem Blogeintrag „Das letzte Wort“ beendet und beginne das Neue Jahr mit einem Eintrag zum Thema „Erste Worte“. Meine ersten Worte für Sie sind erstmal gute Wünsche und viel Glück im nächsten Corona Jahr 2022!

Erste Worte oder Sätze sind super wichtig – habe ich gelernt!  Also habe ich mal schnell gegoogelt, wie echte Autoren so ihre Werke eingeleitet haben. Berühmte erste Sätze sind zum Beispiel:

 

„Mein erster Toter war ein Rentner“

(Wie wird es endlich wieder so, wie es nie war – Joachim Meyerhoff)

 

Heute ist Mama gestorben.

(Der Fremde – Albert Camus)

 

„Huuuuuh! Oh, seht mich an, ich sterbe.

(Hundeherz – Michael Bulgakow)

 

„Das ist die Geschichte des Musikers Johannes Elias Alder, der zweiundzwanzigjährig sein Leben zu Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte, nicht mehr zu schlafen.“

(Schlafes Bruder – Robert Schneider)

 

Noch in dem denkwürdigen Jahr, als die berühmte Berliner Mauer fiel, stieß man unweit der verwitterten Marmor-Statue der Königin Luise auf eine Leiche.

(Parallelgeschichten – Péter Nádas)

 

„Das Baby ist tot.“

(Dann schlaf auch du – Leila Slimani)

 

Fällt Ihnen etwas auf? Die Anhäufung von Sterben und Tod? Das ist genau so gewollt! Ich hätte ja auch den ersten Satz aus der Bibel zitieren können: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ oder dem Gewinner des angeblich besten ersten literarischen Satzes: „Ilsebill salzte nach“ aus dem Butt von Günther Grass.

Aber das ist nicht mein Plan. Also wenn Sie mit diesem Thema lieber Nichts zu tun haben wollen, dann hören Sie hier lieber auf zu lesen und laufen Sie so schnell Sie können!  Vielleicht klappt es ja weiter mit der Verdrängung – obwohl die ja manchmal auch sehr hilfreich sein kann… Für alle anderen Fälle lesen sie gerne weiter!

Warum überhaupt greife ich speziell dieses Thema immer wieder auf? Warum ist es das Kernthema dieses Blogs? Weil ich den gefühlten Auftrag verspüre, diese Thema aus dem Schatten zu befreien. Welchen Schatten fragen Sie sich vielleicht? Oder hat die Autorin vielleicht selbst einen Schatten? 🙂 Ist natürlich nicht ganz auszuschließen – aber tatsächlich geht es mir um die immense Verdrängung des Themas Sterben und Tod in unserer Gesellschaft.

 

   George Cruikshank, 1827 aus Peter Schlemihls wundersame Geschichte (Wikipedia)

 

Das war übrigens nicht immer so. In ländlichen Gebieten wird der alte Toten- und Friedhofskult auch weiterhin gepflegt, die städtische Gesellschaft jedoch tut alles, um den Tod zu verdrängen. Sie delegiert das Sterben in die „Professionalität“ des Krankenhauses – bestenfalls noch im Rahmen einer palliativen Betreuung oder in ein Hospiz. Viele Menschen sind peinlich berührt oder verschreckt, wenn man vom Tod und seinen Qualen spricht. Stattdessen umgibt man dieses Thema lieber mit Schweigen oder eben Verdrängung in den Schatten.

Hierzu möchte ich Philippe Ariès zitieren: „Eine Revolution der traditionellen Gefühle und Vorstellungen – ihr erstes Ziel ist es, der Gesellschaft die Belästigung und die allzu starke, unerträgliche Gefühlsbelastung zu ersparen, wie sie die Widerwärtigkeit des Todeskampfes und die einfache Präsenz des Todes inmitten des vollen Lebens mit sich bringt.“

Übrigens hier für Hartgesottene zwei Literatur-Tipps – eigentlich Klassiker, wenn man sich dem Thema nähern möchte: Philippe Ariès – Geschichte des Todes, dtv und Bilder zur Geschichte des Todes, Hansen Verlag.

 

Ein Gemälde von 1880, bei dem der Tod noch einen Platz im öffentlichen Leben hatte:

   Johann Christian Reinhart, Kinderbestattung in Paris, 1880 Bibliothèque des Arts décoratifs, Paris

 

Heute muss man schon zweimal hinschauen, um dieses Gefährt noch als Leichenwagen zu identifizieren:

Verständlicherweise entfällt hiermit auch der äußere Zwang, sich diesem Thema zu stellen. Aber es gibt Lichtblicke! Wie diesen Blog und, und, und… Davon bald mehr in diesem Theater!

Und so verabschiede ich mich für Heute mit meinem neu erworben Titel:

Master of Schattendesaster

 

Der Tod begleitet das Leben wie der Schatten das Licht.

Rafik Schami