Heute möchte ich eine Geschichte veröffentlichen, die mir meine Freundin Christina Kupczak für den Blog geschenkt hat. Sie ist Teil des außerordentlich kreativen Autorenduos AugenOhr, hinter denen sich Dr. Lutz Riehl und Christina Kupczak verbergen: „Zusammen sind wir ein Ganzes, so verstehen wir uns als Autorenduo. Denn: LUTZ mit seiner starken Sehbehinderung, der Musikalität, dem Gesang, Komponieren, Rezitieren und der Gabe in Lyrik, Drama und Prosa zu schreiben, dazu seine Leidenschaft für´s Theaterspielen ist das OHR. Und: CHRISTINA, geprägt von Bildern, Zeichnen, der Gebärdensprache und vielen Kleinreisen ist das AUGE. Erzählungen, skurrile Geschichten und Romane sind ihr Arbeitsfeld, dazu das ganze Drumherum von Theaterarbeit, inzwischen auch die Regie.“

Ein Besuch auf der Homepage lohnt sich auf jeden Fall für wunderbare Geschichten, Humorvolles und musikalische Beiträge: www.augenohr-frankfurt.de.

Nehmen Sie sich bitte die Zeit zum Lesen, es lohnt sich wirklich!

Was ist der Mensch?

Christina Kupczak

Taghell erleuchtet war der Flur auf der Intensivstation. Ein überhelles kaltes Licht kroch in jeden Winkel, ließ keine Schatten, keine dämmrigen Ecken zu.

Doch im Patientenzimmer herrschte die Dunkelheit. Nicht ganz – die hochkomplizierte Apparatemedizin führte ein eigenes Leben. Es blinkte, leuchtete, Grafiken bewegten sich wie bunte Schlangen, manchmal piepste und summte es.

In zwei riesigen Pflegebetten lagen zwei uralte Menschen, Männer, zusammengeschnurrt fast schon wie Mumien. Der eine verschwand fast unter einer Sauerstoffmaske. Schläuche, die in seinen Körper führten, lagen wie Schlangen um ihn herum.

Der andere war nur an eine Infusion angeschlossen. Sein Auge blickte klar, unruhig und sehr bewusst in die Dunkelheit: Karol, 97 Jahre alt, war hellwach. Seine Gedankenfabrik, wie er das Grübeln spöttisch nannte, lief auf Hochtouren. Weit in die Vergangenheit hatte er sich vorgearbeitet: Polen, Polen 1920, seine Heimat, das Dorf Boro… ach egal, unterbrach er sich selbst, das Dorf gibt es nur noch in meiner Erinnerung. Fast die ganze Familie wurde im Krieg ausgelöscht. Lebensreise……… zum zigten Mal gehe ich 97 Jahre zurück und versuche einen Sinn in dem allem zu finden. Ein Leben, in dem ich immer weitergeirrt bin, nie gab es einen Ort an dem ich bleiben wollte. Ich blieb dann – aber warum? Eigentlich nur weil ich nicht wusste wohin ich weiter irren sollte. Es war irgendwie egal: bleiben oder weiterziehen, kein Unterschied.

 Was wäre passiert, wenn es Hitler nicht gegeben hätte? Wäre ich Kleinbauer geworden, wie mein Vater? Ein primitives Lehmhaus, eine Kuh, Ziegen, Hühner, Enten. Das Leben in der Natur, im Wechsel der Jahreszeiten so wie Generationen vor mir? Starke Bilder tauchten auf: Wogende Weizenfelder, durchsetzt mit Mohn und Kornblumen. Kornblumen – blieben seine Gedanken hängen – Kornblumen liebten die Deutschen. Die Blume passt zu ihnen: Fest, hart, stahlblau, schwer auszureißen. Zu mir, dem Polen passte besser der Mohn: leicht, schnell zerstörbar, die Blütenblätter geben jedem Windstoß nach, in der Kapsel aber ein süßes Gift:

Mohn, Betäubung, Schlaf, Tod…..Klischee, sagt meine superschlaue Tochter Luzia. Vater, du lebst in Klischees. Menschen sind überall verschieden, es gibt keine Nationalcharaktere.

Slawische Seele…sie lacht dann immer leicht abfällig. Luzia, meine Tochter, nun auch schon 68 Jahre alt, Rentnerin. Nein: Pensionärin. Sie hat sich hochgearbeitet in der deutschen Leistungsgesellschaft, leicht fiel ihr der Aufstieg. Schulleiterin war sie zum Schluss, Schulleiterin eines Gymnasiums, immerhin. Beachtlich mit diesen Eltern: Karol, ungelernter Arbeiter, Polak (heißt eigentlich nur: Pole), früher aber: UNTERMENSCH. Und Ellie, die ewig verschreckt wirkende Hausfrau und Sklavenseele. Ja, Ellie war eine Sklavin, die Sklavin der Familie und ich habe sie auch oft so benutzt, wenn ich depressiv war, betrunken und wütend. Ganz am Anfang der Ehe habe ich sie manchmal geschlagen. Sie duldete es wimmernd, verkroch sich in eine Ecke. Dann ließ ich es, Gottseidank. Es bedrückt mich immer noch, wenn ich daran denke.

 1950 haben wir geheiratet, gleich kam die Tochter. Hätten wir 1945 ein Kind gezeugt, dann wäre Ellie ins KZ gekommen, wegen RASSENSCHANDE, mich hätte man aufgehängt. Das Kind wäre verhungert, vielleicht auch mit einer Spritze getötet worden. Oder: bei gutem arischen Aussehen wurden solche Kinder auch in deutsche Familien gegeben. Sie erfuhren ihr Leben lang nicht wer sie eigentlich waren. Fünf Jahre…..der Gedanke macht mich immer noch verrückt. Lächerlich…. „Vater,“ sagt Richard, „Vater, das ist doch schon so lange her….“

Was ist der Mensch? War ich 1945 kein Mensch, eine Art Ungeziefer? Und 1950 war ich dann ein Mensch, wenn auch Polak, aber immerhin hat man mich wieder zur menschlichen Rasse gezählt. Aber nicht zum deutschen Volk, ich wollte es auch nicht…….

Ach, lassen Sie das…. Man muss einen Strich ziehen, Schwamm drüber. Sie haben doch überlebt!…. Heimatloser Ausländer, DP war ich, nein, bin ich bis heute: Deplazierte Person oder neutral ausgedrückt: staatenlos.

Karols Gedanken fielen in eine schwarze Tiefe, Leere. Als er wieder zu sich kam, schien einige Zeit vergangen. Deutlich war der Vollmond auf seiner Bahn weitergezogen.

Mein Herz schlägt noch… setzten seine Gedanken wieder ein. Es schlägt und schlägt, das dumme Ding, nun schon 97 Jahre, unfassbar. Könnte es nicht einfach mal aufhören? So eine Gelegenheit wie eben, wäre doch günstig gewesen. Was hält mich hier? Luzia, eine Tochter, der ich meinen Schmerz, meine Heimatlosigkeit vererbt habe. Ob sie es weiss? Sie ist völlig nüchtern, aufgeklärt, sachlich und logisch. Schön war sie in ihrer Jugend, sehr schön. Das Klischee der schönen Polin. Aber glücklich war sie nie. Sie war erfolgreich. Ich glaube: Sie kann nicht lieben, kommt wahrscheinlich von mir. Liebschaften hatte sie auch nicht allzuviele. Geheiratet hat sie nie. Wer ist sie? Keine Ahnung. Sie funktioniert wunderbar, ich kann mich auf sie verlassen. Aber Gefühle gibt es nicht zwischen uns. Die Gefühle habe ich zu Anka, der kroatischen Nachtschwester. Wir quatschen gern miteinander: sie kroatisch, ich polnisch. Polnisch habe ich fast schon vergessen. Ich denke deutsch, ich fange an die Deutschen zu verstehen. Ich bin mir selbst fremd geworden.

Warum lebe ich so lange? Hundertmal hätte mich der Tod in Kriegszeiten erwischen können. Rechts und links wurden Kameraden erschossen, aufgehängt, totgeprügelt. Aber ich nie, ich kam immer davon. Das KZ in der Schule…. der Morgenmarsch zu Daimler Benz um 5 Uhr jeden Tag, die Schufterei, die Prügel, der Hunger. Geprügelt wurde öffentlich, von den deutschen Kriminellen wurden wir mit Stockhieben gedemütigt. Wieviele sind in Depression versunken, haben den Lebensmut verloren und sind allein daran gestorben. Essen gab es so gut wie nicht. Nachdem ich den Todesmarsch ins KZ Dachau auch wieder überlebt hatte, wog ich bei der Befreiung durch die Amerikaner noch 37 kg. Marian, die Hinrichtung von Marian auf dem Schulhof… angeblich habe er Sabotage betrieben.. …..nein, dazu war er viel zu gebrochen. Man wollte einfach ein Exempel statuieren und ihn vor unseren Augen töten. …und es gab noch viel schlimmere Schicksale…. Heute haben sie Angst, dass Roboter die Überhand gewinnen, die Menschheit beherrschen. Die Künstliche Intelligenz sei auf dem Vormarsch. Ha, ich glaube nicht, dass sich Maschinen das ausdenken können was Menschen anderen Menschen zugefügt haben und immer noch tun. Ich hätte keine Angst vor Robotern. Angst habe ich nur vor Menschen, vor ihrer teuflischen Kreativität, der Lust am Peinigen. Hat eine Maschine Lust am Peinigen? Wohl kaum… vielleicht wäre ein Welt, die von Robotern beherrscht wird sogar humaner? ….. Suff, Krebs, Depressionen: mein Körper hielt durch. „Karol hat sieben Leben, wie eine Katze,“ sagten die Leute in meiner Straße.

Wieder versank Karols Bewusstsein in Dunkelheit.

Dann plötzlich flammte ein grelles Licht auf. Am Nachbarbett standen Pflegepersonal und ein Arzt, hektisches Handeln, scharfe Kommandos.

 … lasst uns doch endlich gehen… dachte Karol. Weshalb sind wir noch hier? Was ist der Mensch in diesem Zustand? Eine Art Mumie. Sie frisst ein bisschen, scheisst ein bisschen, muss gewindelt und gewaschen werden. Nur die Denkfabrik, die arbeitet präzise und legt uns immer wieder die gleichen Fragen vor die wir nicht beantworten können. Demenz, Demenz, wäre manchmal die Erlösung. Abtauchen, Verwirrung, Nebel, nichts-mehr-erkennen-können.

Was soll das Ganze? Hatte es je einen Sinn?

Gott – wo war er?

Aah… Sie sind Pole, dann sind sie katholisch! Meistens schwieg ich dazu, erst sehr spät habe ich gekontert: ich bin Atheist, Nihilist, suchen Sie es sich aus und zufällig Pole. 

Bildung, mehr Bildung hätte vielleicht vieles leichter gemacht. Vier Jahre Volksschule auf dem Dorf. Lesen, Schreiben, Rechnen, mehr nicht. In Deutschland habe ich mir die Sprache selbst beigebracht. Integrationskurse? Ha, lächerlich! Sprachkurse? DU kommen, DU arbeiten, DU  aufpasssen! 1962 kaufte ich den ersten Fernseher. Von diesem Apparat habe ich Deutsch gelernt, einfach vom Zuhören. Man lobte mich: Schau mal, das hätten wir von dem nicht gedacht, es geht doch. Ja, es ging, rein äußerlich ging es bergauf, nachdem ich Depressionen, Alkoholsucht und Krebs überwunden hatte. Man duldete mich, gönnerhaft.

Mein Chef im Straßenbau, meine Nachbarn, die Lehrer meiner Kinder: Ääh… wie nochmal? cz, sz, psrz….ach, das kann doch keiner aussprechen. Kaum jemand gab sich die Mühe meinen Namen richtig zu schreiben. Ist ja egal, irgendsowas Polnisches. Einmal bin ich im Krankenhaus fast verwechselt worden. Nur weil ich ständig meinen Namen kontrollierte, entging ich einer Operation. Ein englischer oder französischer Name, das ist etwas ganz anderes, da gibt man sich Mühe, will sich nicht blamieren.

 Ich jammere, bin ein Jammerlappen geworden. Das Alter zermürbt mich.

Verpfusche nicht das Ende deines Lebens – las ich neulich, Kalenderspruch von Antonin Cechov, der starb schon mit 44 Jahren. Der Satz hat mich tief getroffen, unsinnig, denn: Mein ganzes Leben war Pfusch. Trotzdem denke ich oft diesen Satz. Kommt noch was? Gibt es möglicherweise eine Erklärung?

 Vielleicht gibt es doch ein Leben nach dem Tod? Ostern, Ostern war das größte Fest in Polen. Hier feiern sie mehr Weihnachten. Aber Ostern ist größer, höher: Die Überwindung des Todes. Mächtig sind die alten polnischen Kirchenlieder. Jahrzehnte habe ich sie vergessen, jetzt steigen sie wieder auf. War ich gläubig? Als junger Mann war ich beheimatet in der Tradition. Die Rituale waren stark, selbstverständlich. Geliebt habe ich die Wallfahrt nach Czestochowa, zur Schwarzen Madonna. Da traf es mich, etwas griff nach mir, wenn die goldene Wand sich hob und die Ikone sichtbar wurde. Dann später im Kieg, verlor ich den Glauben. Ich dachte nicht mehr an Gott, konnte nicht glauben, dass er mich rettete. Zufall war es, immer wieder Zufall, dass ich überlebte.

 Wohin haben sie den Nachbarn gebracht? Er kommt nicht mehr zurück. Ist er ihnen entwischt? Ist er tot?

 Ich renne durch den Wald. Der Wald war immer meine Zuflucht. In den schlimmsten Jahren des Absturzes konnte ich nicht in geschlossenen Räumen schlafen. Ich schlief im Wald, verdreckte, aß kaum noch etwas, soff und soff……….Wie und warum bin ich da rausgekommen? Es gab keine Antwort, keinen Menschen, keinen Anlass, nur Ekel, Ekel vor mir selbst. Dann ekelte ich mich vor dem Alkohol und irgendwann war dieser Fluch vorbei. Ich konnte wieder arbeiten, im Straßenbau, mit Schaufel, Hacke und Presslufthammer. Natürlich ohne Ohrenschutz. Aber taub bin ich auch nicht geworden, wie viele meiner Kollegen. Mein Körper führt ein seltsames Eigenleben, er ist nicht unterzukriegen. Generationen von polnischen Bauern stecken in meinen Genen. Deshalb musste ich 97 Jahre alt werden.

Seele tot – Körper lebt? Gibt es das? Warum? Ein Pfarrer hat mir einmal gesagt: Wir sind auf der Welt um zu lernen. Was? Ich habe keine Prüfungsaufgabe verstanden. Wozu war ich da? Was ist der Mensch?

Zwei Kinder habe ich in die Welt gesetzt: Luzia, die Erfolgsfrau und Richard, zweimal geschieden, ewig mit Schulden behaftet, gejagt, ständig in unsinnige Affären verstrickt. Glücklich, zufrieden sind beide nicht. Ich habe die Sinnlosigkeit und das Leiden weitergegeben. Traumata nennen sie das heute. Man vererbt nicht nur seine Augenfarbe, man gibt auch seine Erinnerungen weiter. Die Kinder haben sich nie für mein Leben interessiert, aber ich sehe mein Erbe in ihrer Unruhe, ihrem Herumirren, in ihrer Heimatlosigkeit. Sie sind nicht die einzigen in ihrer Generation, die so leben.Waren es zwei oder 3 Millionen Zwangsarbeiter die nach dem Krieg in Deutschland blieben? Dazu kamen noch 12 Millionen deutsche Flüchtlinge aus den Ostgebieten. Auch Kinder mit deutschen Eltern habe diese Unruhe, dieses Fliehen. Vor was fliehen sie? Vor dem Erbe der Eltern? Dem Ungesagten, der Schuld, der Schmach, der Wut und der Scham? Sind sie deshalb so besessen von Erfolg und Geld? Treibt sie etwas an, das sie nicht zu verantworten haben? Das Böse pflanzt sich fort, das Böse verschwindet nicht, es gibt keinen Schlussstrich. Und es wird weitergegeben an die Enkelgeneration.

 Kommt noch was? Vielleicht lebe ich nur deshalb, weil ich eine Antwort will. Ja, ich will eine Antwort! – Morgen werde ich auf Normalstation verlegt. Dann geht es wieder von vorn los: Die Mumie wird aufgepäppelt, muss essen, raus aus dem Bett, mit dem Rollator den Gang rauf und runter.

Eine Woche später saß Karol tatsächlich in der Grünanlage hinter dem Krankenhaus. Er hatte es wieder geschafft, war zum zigten Mal dem Tod von der Schippe gesprungen.

Es war Frühling, überall brach das Leben auf – aber Karol verschloss sich: wieder eine Runde, dachte er, die 97 – te. Vielleicht sterbe ich nicht? 120 wollen sie in Zukunft werden. Wie soll man das aushalten? Pfui Teufel………

Auf der Nachbarbank saß ein kleiner Junge, blass, schmächtig, mit Glatzkopf. Karols Blick blieb auf ihm haften. Ein Kind mit Krebs, unwahrscheinlich, dass er 97 Runden drehen muss.

Der Junge hatte den intensiven Blick des Alten gespürt, er schaute von seinem Comicheft auf, die Blicke trafen sich. Die Mumie blieb starr, schaute ausdruckslos in das Kindergesicht.

„Hallo“, sagte das Kind, “du bist aber alt. Wie alt bist du?“

„97“, war die knappe Antwort.

Über das Gesicht des Jungen zog etwas Dunkles.“So alt werde ich nicht,“ antwortete er sehr sachlich.

„Warum? Du hast Krebs. Ich hatte auch Krebs, bin auch davon gekommen. Kinder haben doch bessere Chancen als Erwachsene.“

„Ich nicht. Mein Gehirntumor wächst. Die Chemo soll das stoppen aber es klappt nicht, inoperabel.“

Inoperabel, dachte der Uralte. Was für ein Wort von einem Kind. Er raffte sich auf: “Wie alt bist du?“

„10“, war die Antwort.

Zehn, dachte Karol, mit 10 war mein Leben in Ordnung. Arm waren wir, aber gesund und frei, ständig draußen in der Natur, viel mit Tieren zusammen.Wir mussten schon arbeiten aber wir hatten auch Zeit zum Spielen, konnten viel Herumstreifen durch Feld und Wald. Wieder holten ihn die Erinnerungen ein aber er streifte sie ab, Neugierde besetzte ihn plötzlich. Sind wir nicht in der gleichen Situation: Der Junge und ich? Stehen wir nicht beide vor einem baldigen Tod?

Er nahm das Gespräch wieder auf:“ Wie heißt du?“

„Karol“.

„Karol? Ich auch.“

„Hallo!“

„Hallo!“

„Bist du Pole?“ fragte der Ate.

Das Kind nickte: „ Papa ist Pole – aber er ist nicht mehr da, geschieden.“

„Und Mama?“

„Mama ist wieder verheiratet.“

„Deutsche?“

„Ja.“

Mitleid durchfuhr Karol ganz unmittelbar. Er war erstaunt über dieses warme ziehende Gefühl, tief in seinem Innern. Es war kein Bedauern, es war ein Mitleiden. Er vergaß, dass er mit einem Kind sprach, es entfuhr ihm: „Dann bist du ziemlich allein. Wie wirst du damit fertig?“ Verdammt, dachte er, so fragt man doch kein Kind.

Doch dieses antwortete fast leichthin:“ Weiss ich nicht, aber ich war zweimal schon fast dort. Und da ging`s mir gut.“

„Du meinst: du hast den Tod gesehen, du bist durch den Tunnel geflogen, am Ende das große Licht?“

Der kleine Karol nickte: „ Ja.“ Dann reckte er stolz zwei Finger in die Höhe:“ Schon zweimal!“

„Und dann haben sie dich wieder zurückgeholt?“

Der Junge schüttelte den Kopf:“ Nein, ich wurde zurückgeschickt.“

„Zurückgeschickt? Wie? Erzähl´mal.“

Karol schloss die Augen und berichtete:“ Ich war mit vielen Menschen unterwegs, es war wie eine Unterführung unter der Bahn, alle gingen geradeaus aber ich musste rechts abbiegen. Da stand ein Engel und verbot mir weiterzugehen. Er schickte mich zurück. Schade, es waren tolle Farben. So ein tiefes Blau, ganz stark leuchtend und Musik gab es auch. Ich war so glücklich, aber ich musste zurück“.

„Das heißt: Du bist wieder aufgewacht?“

Der kleine Karol nickte:“Ja, ich bin wieder aufgewacht und war enttäuscht. Mama saß an meinem Bett und weinte.“

„Und jetzt? Du wartest darauf, dass es das nächste Mal klappt?“

Der Junge zog die Schultern hoch:“Naja, ich bin noch nicht fertig hier, sowas sagte der Engel. Ich soll noch etwas machen.“

„Aber das ist doch Unsinn“, brach es aus dem Uralten heraus,“ was sollst du hier noch machen? Du bist doch ein Kind.“ Karol vergaß völlig, wen er vor sich hatte. Plötzlich fühlte er: Der weiss mehr, vielleicht gibt`s doch eine Antwort?

Der kleine Karol schwieg zunächst dann sagte er nachdenklich: „Es war sowas wie:  Du sollst einen berühren. Der Engel berührte mich, hier an der Stirn. Und ich soll einen anderen berühren.“

Schweigend saßen sich die beiden gegenüber. Dann stand das Kind auf und berührte den Alten an der Stirn.