Zum letzten Beitrag von Christina Kupczak gab es sehr viele positive Rückmeldungen und auch Fragen zum Hintergrund. Christina war so freundlich und hat ein paar weitergehende Informationen zur Entstehung gesendet.

Was ist der Mensch?  Wie eine Erzählung entstanden ist……

Liebe Leserinnen und Leser,

von Christiane Gog habe ich erfahren, dass meine Geschichte auf positive Reaktionen gestoßen ist und vielleicht interessiert Sie ein bisschen der Hintergrund. Fast alles in diesem Text hat einen realen Bezug, nur ganz wenig habe ich dazu gedichtet, neu geordnet, neu zusammengesetzt.

Karol der Alte, war mein Vater. Fast alles stimmt, aber er wurde nicht so alt, obwohl die Ärzte nie verstanden haben wie man 20 Jahre mit dieser extremen Alkoholsucht und Depressionen überstehen kann. Elli, Luzia und Richard waren Ehefrau und Kinder eines anderen polnischen Zwangsarbeiters. Diese Ehe verlief nicht so katastrophal wie die meiner Eltern, aber sie war auch leidvoll und schwierig.

Der kleine Karol ist ein Kind aus meinem weiteren Bekanntenkreis.

Das Nahtoderlebnis erzählte mir eine Frau, die bereits das 90- ste Lebensjahr überschritten hatte. Das Erlebnis stammte aber aus ihrer Jugend, sie war gerade 22 Jahre alt und hatte ein Kind geboren. Die Geburt war so schwierig gewesen, dass sie in Todesnähe kam. Der Engel schickte sie aber ausdrücklich und gegen ihren Wunsch wegen des Kindes zurück.

Die Geschichte mit dem Engel fiel mir erst während des Schreibens ein. Irgendwo hatte ich sie gelesen, aber wo? Ich konnte mich nicht erinnern. Dann begegnete ich der Legende zufälligerweise vor einigen Wochen wieder. Sie stammt aus dem jüdischen Talmud. Und es wird noch ausgeführt: damit das Kind die Wahrheit vergisst, sonst wäre das spätere Leben unerträglich.

In meiner Kindheit wurde eine ähnliche Geschichte erzählt, vermutlich eine Variante der talmudischen Legende: Bevor der Mensch geboren wird kommt sein Engel und legt ihm den Finger auf die Lippen, damit das Kind vergisst woher es kommt und wohin es wieder zurückkehrt. Von dieser Berührung bleibt die leichte Einkerbung der Oberlippe, die alle Menschen haben. Sie soll uns daran erinnern, dass wir aus einer anderen Welt kommen.

Kann man diese Bruchstücke zu einer erzählerischen Einheit verbinden? Ich meine ja, denn außer meinem Vater waren und sind alle anderen Personen von der Hoffnung und vom Glauben erfüllt, dass ihr Leben eine geheimnisvolle Ordnung hat, dass es einen grundlegenden Sinn gab und gibt.

Man kann nicht schreiben ohne eigene Erlebnisse und Stimmungen zugrunde zu legen. Literatur ist geronnenes Leben. Der große Literaturkritiker Marcel Reich- Ranicki sagte einmal: Ein guter Schriftsteller erfindet nicht, er findet.

Ich schreibe nicht mit dem Anspruch Schriftstellerin zu sein, ich schreibe in erster Linie für mich: Verarbeitung, Einordnen, Bewältigen, Mitteilen. Mehr ist da nicht, aber wenn andere meine Texte gerne lesen, dann ist das wunderbar.

Christina Kupczak