Heute mal wieder eine Geschichte aus der ambulanten Patientenversorgung. Weil sie ein wichtiges Thema der palliativen Versorgung anspricht und auch die vermutlich größte Sorge von Patienten und Angehörigen.

Wir betreuen eine Patientin mit starker Luftnot in ihrem häuslichen Umfeld. Sie hatte schon vorher bei unseren Hausbesuchen angedeutet, dass die Situation für sie immer schwerer zu ertragen ist. Dass sie große Angst hat, zu ersticken. Vor einem qualvollen Ende. In solchen Fällen sprechen wir die Option der Palliativen Sedierung an. Ich versuche es mal so zu erklären, wie wir es für die Patienten und ihre Angehörige formulieren:

Es gibt Symptome oder Beschwerden der Erkrankung, die auch wir irgendwann nicht mehr medikamentös oder durch andere Maßnahmen entlasten können. Dazu gehört sehr oft die Luftnot.  Was tun, wenn der Tumor in die Luftwege einwächst oder große Teile der Lunge verdrängt hat? Wenn Behandlungsoptionen wie Bestrahlung oder Einsetzen eines Stents nicht mehr möglich sind? Eine für den Patienten und seinen Angehörigen absolut unerträgliche Situation. Übrigens auch für uns Begleiter ist es kaum auszuhalten, einem Menschen beim Ersticken zusehen.

Das Hauptproblem an der Luftnot ist die Angst. Nicht irgendeine Angst – sondern Todesangst. Atmen ist Leben und keine Luft mehr zu bekommen liefert die Betroffenen direkt Horrorvisionen von einem qualvollen Erstickungstod aus. All die Verdrängungsmechanismen zum Thema ‚Sterben‘ und ‚Tod‘ funktionieren hier plötzlich nicht mehr.  Angst hat ihre eigene Dynamik und das Problem an der Angst ist, dass sie sich kaum durch rationale Denkmodelle zähmen lässt – zumal, wenn der Auslöser weiter unkontrolliert besteht.

Und hier setzt die Palliativmedizin mit ihren Möglichkeiten an. Sie kann medikamentös für Entlastung sorgen. Etwa mit Lorazepam (Tavor ®), einer unserer bevorzugten ‚Waffen‘ – ein Beruhigungsmittel das zusätzlich angstlösend wirkt. Oft ist damit erstmal eine gute Erleichterung  und damit für den Patienten wieder ein Stück Normalität möglich.

Was passiert aber bei Patienten, bei denen dieses Konzept nicht mehr ausreicht? Hier kommt die palliative Sedierung ins Spiel. Vereinfacht: eine Kombination aus Morphinen und starken Beruhigungsmitteln bzw. Narkosemitteln in unterschiedlicher Dosierung. Dies kann bedeuten, dass der Mensch wach und ansprechbar ist bis hin zu tiefem Schlaf, einer Narkose ähnlich. Bei Letzterem ist das Einleiten dieser Sedierungsform eine Entscheidung, die in der Regel nicht mehr geändert werden sollte.  Zum Beispiel bei einer massiven Blutung – (das möchte niemand bei vollem Bewusstsein erleben!) Meint: der Patient bleibt in dieser Art Narkose, bis er an seiner Erkrankung oder der Komplikation der Erkrankung stirbt. Das kann wenige Minuten, aber auch Tage bedeuten.

Zur Begriffsklärung – hier handelt es sich um Hilfe in der Sterbephase und definitiv nicht um Sterbehilfe!

Für Sie ist das Lesen dieses Beitrages wahrscheinlich harte Kost – für den Patienten und seine Angehörige ist eine frühe Aufklärung über diese Möglichkeit erfahrungsgemäß eine große Beruhigung. Sie mindert eine der größten Ängste und großes Leid am Lebensende deutlich – und das ist unendlich kostbar.

Ich bin sogar der festen Überzeugung, dass das Wissen um diese Option schon viele Menschen von dem würdelosen Weg der Sterbehilfe in der Schweiz abgehalten hat. Und wenn sich nur ein Mensch und/oder seine Angehörigen durch das Lesen dieses Beitrages beruhigt und entlastet fühlt – dann würde ich mal sagen: Alles richtig gemacht!

Zum Abschluss zurück zu unserer Patientin: Sie ist weiter zuhause und wenn die Angst überhandnimmt, sprechen wir noch einmal über die palliative Sedierung. Damit hat die Patientin die Situation wieder besser im Griff. Sie wird sich im Laufe der nächsten Woche unsere Palliativstation ansehen. Denn Sie möchte ihrem Mann diese letzte Lebensphase nicht zuhause zumuten. Und auch die Beruhigung für ihn und sie, von uns 24 Stunden am Tag medizinisch optimal überwacht und begleitet zu sein.

Luftige Grüße vom Master of Angstdesaster

 

„Woher weiß man, ob etwas lebendig ist? Man schaut nach, ob es atmet.“

Markus Zusak