Gut Ding braucht Weile – tja, da hatte ich wohl eine Vorahnung… Nach vielen unerwarteten Hindernissen ist es aber nun endlich soweit: Die Telefonzelle ist im Einsatz! Und hier auch endlich die Antwort auf die Frage: „Was macht die Telefonzelle auf der Terrasse der Palliativstation?“

Der Freisprecher oder wie es im Original heißt – die Telefonzelle des Windes – ist unser neues Trauerprojekt. Die Idee entstand bei der Recherche für die Bachelorthesis meiner Tochter. Hier bin ich über den Arte-Beitrag: „Das Telefon des Windes“ gestolpert (https://www.youtube.com/watch?v=Njdlkf3hcWE). Worum geht es in diesem Beitrag?

„Itaru Sasaki hat eine Telefonzelle in seinem Garten stehen. Das Telefon  des Windes, wie er es nennt. Bei dem verheerenden Tsunami im März 2011 sind in seinem Ort Otsuchi fast 1.200 Menschen gestorben –  im Schnitt jeder Achte. „Um zu leben, brauchen die Menschen Träume und Hoffnung. Dieses Telefon entstand aus der Idee heraus, Verbindung mit den Verstorbenen aufzunehmen“, sagt Sasaki. Laut Bedienungsanleitung funktioniert die Drahtlos-Verbindung folgendermaßen: Schließen Sie die Augen und hören Sie zu. Wenn Sie den Klang des Windes, der Wellen und der Vögel hören, dann sagen Sie woran Sie denken.

Masahiro Matsuzaka war nach der Katastrophe freiwilliger Helfer. Er hat viel Leid gesehen, welches ihn bis heute belastet. Telefonieren hilft, sagt er: „Man denkt, es hört ja keiner zu, also kann man frei sprechen. Wenn man die Dinge, die sich aufgestaut haben, in Worte fassen und rauslassen kann, dann erleichtert das.“ Seit der Tsunami das ganze Dorf zerstört hat, werden immer noch mehr als 400 Menschen vermisst. Die Zeit hat viele Wunden noch nicht geheilt. Mittlerweile haben mehr als 10.000 Trostsuchende aus aller Welt hier auch ohne Festnetzanschluss den Draht zu ihren Toten gehalten. „Das Telefon des Windes hat meine Worte zu meinem Vater getragen und er hat gesagt, dass alles okay ist“, sagt Besucher Yoshihisa Masuko.

Itaru Sasaki hat der Welt in aller Bescheidenheit seinen Garten geöffnet, ein bisschen stolz ist er trotzdem: „Es ist zwar nur eine Telefonzelle des Windes in meinem Garten, aber ich glaube, dass sie etwas in der Welt verändert.“ Auch wenn die Leitung tot ist, die Beziehung zu den Verstorbenen bleibt durch dieses Telefon lebendig. Ein tröstlicher Gedanke.“

Ich war von diesem Beitrag sehr berührt und wusste sofort: Das will ich auch bei uns in der Klinik! Bisher steht in Deutschland so ein Telefon des Windes in Arnis als Kunstprojekt und auf dem Friedhof in Kassel als Trauerangebot. Aber ich wollte noch mehr: Trauer und Abschied beginnen nämlich oft schon lange vor dem eigentlichen Tod des Menschen. Dieses Projekt sollte Allen offen stehen, nicht nur den Angehörigen von Verstorbenen. Auch Patienten und Patientinnen haben Wünsche oder brauchen einen Ort um ungesagte Dinge aussprechen zu können. Das gleiche gilt übrigens auch für uns Mitarbeiter!

Leichter gesagt, als getan! Als Erstes bin ich mal kurz ins Telefonzellenbusiness eingestiegen. Von den schönen gelben Telefonzellen gibt es inzwischen in Deutschland deutlich weniger, als man denkt! Nach einem Telefonat mit der Telekom, habe ich erfahren, dass es den legendären Telefonzellen-Friedhof im Osten Deutschlands nicht mehr gibt. Der Herr an der Hotline hat mir den Tipp gegeben, ich sollte mal bei Kleinanzeigen schauen, da würden noch gebrauchte Telefonzellen verkauft. Aber auch da musste ich feststellen, dass es nur noch wenige Zellen gibt und die waren dann oft sehr teuer und in schlechtem Zustand. Per Zufall bin ich dann auf einer Anzeige von einem Anbieter gelandet, der Telefonzellen verleiht, zum Beispiel für Film, Fernsehen oder andere Events. Bingo und 6er im Lotto! Der Besitzer dieser Agentur im hohen Norden Deutschlands war sehr angetan von der Idee und hat mir letztendlich eine Telefonzelle zu einem unfassbar guten Preis verkauft. Vielen Dank hier nochmal explizit an Herrn Maack von der SAL-T Veranstaltungstechnik!

Jetzt kamen aber erst die großen Probleme, bzw. die schweren… Schätzen sie mal, was so eine Telefonzelle wiegt? Es sind ca. 300 Kilo – unfassbar. Also musste ein Schwertransport her, den aber dankenswerterweise auch Herr Maack für uns organisiert hat. Kurz vor Ostern kam dann die Telefonzelle bei uns an und wurde erstmal unterhalb der Terrasse gelagert – der AWR Abbruchfirma hier ein dickes Danke für die Unterstützung mit dem Bagger beim Abladen vom LKW! Eins war klar – die klaut so schnell keiner!!! 🙂

Da lag sie dann sehr sehr lange und das Projekt wäre beinahe doch noch gescheitert. Es gab im ganzen Klinikum, auch nicht bei der AWR Abbruchfirma, ein Gerät, dass diese Schwerlast mehrere Meter hoch auf unsere Terrasse hätte heben können. Was tun?

Und wieder hatten wir einfach nur Glück… Im Nachbargebäude wurde ein schweres Gerät angeliefert und der Fahrer war bereit, die Telefonzelle mit seinem Kran auf unsere Terrasse zu heben – unfassbar. Und er hat sich sogar noch dafür bedankt, dass er uns hier unterstützen konnte. Das gibt es also auch noch! 🙂

 

Es gibt soviele Menschen, die mich bei der weiteren Umsetzung unterstützt haben. Zum Beispiel die Mitarbeiter der TG Med und die Haustechniker, die die Telefonzelle gestrichen und für Licht und den Sichtschutz gesorgt haben.  Gerald Strebe, der mit mir die Zelle gereinigt und geputzt hat. Den Ehrenamtskoordinator Andreas Schmidt, der mir ein Erbstück seines Großvaters geschenkt hat – nämlich das Herzstück – das antike Bakelit Telefon.

 

 

Einfach nur ein dickes DANKE an alle Beteiligten!!!

 

 

 

Wie oft Sie genutzt wird, ist schwer zu sagen, da ja mit Absicht ein Sichtschutz verhindert, dass man darin gesehen werden kann. Aber ich finde regelmäßig benutzte Taschentücher im Papierkorb und anonyme Briefe, die ich als Bestätigung der Nutzung werte.

 

Zum Schluß noch das dickste Danke an den Vorstand, die Mitglieder und Spender des Fördervereins Palliare e.V.. Ohne die großzügige finanzielle Unterstützung wäre dieses Projekt so nicht möglich gewesen!!!!

 

Inzwischen gab es auch einen Beitrag im Hessenfernsehen (ab Minute 4:16), den Sie unter diesem Link aufrufen können: https://www.ardmediathek.de/video/MzkzYWUxM2EtNGMxNC00NGNmLWFkZjEtM2U2YWYzZDdlNDg5

 

Dankbare Grüße vom Master of Telefonzellendesaster und heute mal kein Zitat zum Abschluß, sondern den Text zum Projekt, den unser Vorstandsmitglied Constanze Kleis verfasst hat:

 

Willkommen in unserem Frei-Sprecher!

Dies ist eine Telefonzelle ohne irdischen Anschluss. Sie können also ganz frei reden. Loswerden, was Ihnen auf der Seele brennt. Sich mitteilen, auch und gerade jenen gegenüber, die vielleicht nicht mehr antworten können. Weil Sie zu krank oder schon verstorben sind. An wen immer Sie Ihre Gedanken und Gefühle adressieren wollen – dies ist Ihr direkter Draht. Trauer, Wut, Zorn, Liebe. Was immer Ihnen am Herzen liegt und wem immer Sie etwas noch mitteilen möchten – dies ist der richtige Ort dafür. Sie brauchen dazu weiter nichts zu tun, als in die Kabine zu gehen, den Hörer aufzunehmen und sagen, was immer Sie zu sagen haben.

Die Geschichte

In Japan nennt man diesen Zufluchtsort für die Trauer „Telefon des Windes“. Das erste seiner Art steht im Garten von Itaru Sasaki. In seinem Ort Otsuchi kamen bei dem verheerenden Tsunami in Japan fast 1.200 Menschen ums Leben. Sie verließen ihr Haus und kamen nie wieder zurück. Kein Abschied, keine letzten Worte – soviel blieb ungesagt. Daraus entstand bei Itaru Sasaki die Idee, eine Telefonzelle aufzustellen, damit die Überlebenden Verbindung mit den Verstorbenen aufnehmen, sich noch mit ihnen aussprechen können und der Wind ihre Worte zu jenen trägt, die gemeint sind. Mehr als 10.000 Menschen aus Japan haben so bislang Trost gefunden.

Post Scriptum

Manchmal braucht die Trauer auch ein Post-Scriptum – eine Gelegenheit, aufzuschreiben, was nicht gesagt werden konnte oder kann. Dafür steht Ihnen unser anonymer Briefkasten zur Verfügung.